Herbst Zu Golde ward die Welt; Zu lange traf Der Sonne süßer Strahl Das Blatt, den Zweig. Nun neig Dich, Welt hinab In Winterschlaf. Bald sinkt's von droben dir In flockigen Geweben Verschleiernd zu - Und bringt dir Ruh, O Welt, O dir, zu Gold geliebtes Leben, Ruh. Christian Morgenstern (1871-1914)
Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmel ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh die andre an: es ist in allen. Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält. Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Der scheidende Sommer Das gelbe Laub erzittert, Es fallen die Blätter herab; Ach, alles, was hold und lieblich, Verwelkt und sinkt ins Grab. Die Gipfel des Waldes umflimmert Ein schmerzlicher Sonnenschein; Das mögen die letzten Küsse Des scheidenden Sommers sein. Mir ist, als müsst ich weinen Aus tiefstem Herzensgrund; Dies Bild erinnert mich wieder An unsre Abschiedsstund'. Ich musste von dir scheiden, Und wusste, du stürbest bald; Ich war der scheidende Sommer, Du warst der kranke Wald. Heinrich Heine
Im Nebel Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein. Kein Baum sieht den andern. Jeder ist allein. Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war, Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar. Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt. Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist einsam sein. Kein Mensch kennt den anderen, Jeder ist allein. Hermann Hesse, November 1905
Allerseelen Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, Die letzten roten Astern trag herbei, Und laß uns wieder von der Liebe reden, Wie einst im Mai. Gib mir die Hand, daß ich sie heimlich drücke Und wenn man's sieht, mir ist es einerlei, Gib mir nur einen deiner süßen Blicke, Wie einst im Mai. Es blüht und funkelt heut auf jedem Grabe, Ein Tag im Jahr ist ja den Toten frei, Komm an mein Herz, daß ich dich wieder habe, Wie einst im Mai. Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812-1864)
Komm in den totgesagten Park und schau: Der schimmer ferner lächelnder gestade, Der reinen wolken unverhofftes blau, Erhellt die weiher und die bunten pfade. Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau Von birken und von buchs, der wind ist lau, Die späten rosen welkten noch nicht ganz, Erlese, küsse sie und flicht den kranz. Vergiss auch diese letzten astern nicht, Den purpur um die ranken wilder reben, Und auch was übrig bleib von grünem leben Verwinde leicht im herbstlichen gesicht. Stefan George
Herbst Zu Golde ward die Welt; Zu lange traf Der Sonne süßer Strahl Das Blatt, den Zweig. Nun neig Dich, Welt hinab In Winterschlaf. Bald sinkt's von droben dir In flockigen Geweben Verschleiernd zu - Und bringt dir Ruh, O Welt, O dir, zu Gold geliebtes Leben, Ruh. Christian Morgenstern (1871-1914)
Herbstlied Durch die Tannen und die Linden Spinnt schon Purpur her und hin; Will mich Wehmut überwinden, Daß ich bald im Herbste bin. Nimmer! denn vom Walde klingen Märlein mir und Sprüchelein, Die mir süße Tröstung bringen Ob erstorbnem Sonnenschein. Ja, erstorben ist die Sonne Und ihr Strahl ist ohne Macht! Dennoch spricht von ferner Wonne Greiser Wipfel Farbenpracht. Wilfried von der Neun (1826-1916) [pseudonym]
Verklärter Herbst Georg Trakl Gewaltig endet so das Jahr Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten. Rund schweigen Wälder wunderbar Und sind des Einsamen Gefährten. Da sagt der Landmann: Es ist gut. Ihr Abendglocken lang und leise Gebt noch zum Ende frohen Mut. Ein Vogelzug grüßt auf der Reise. Es ist der Liebe milde Zeit. Im Kahn den blauen Fluß hinunter Wie schön sich Bild an Bildchen reiht - Das geht in Ruh und Schweigen unter. Georg Trakl wurde am 3.2.1887 in Salzburg geboren und starb am 3.11.1914 in Krakau
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen, alternde Astern atmen schwach im Beet. Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht, wird immer warten und sich nie besitzen. Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann, gewiß, daß eine Fülle von Gesichten in ihm nur wartet bis die Nacht begann, um sich in seinem Dunkel aufzurichten:- der ist vergangen wie ein alter Mann. Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu, und alles lügt ihn an, was ihm geschieht; auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du, welcher ihn täglich in die Tiefe zieht. Rainer Maria Rilke
Herbstentschluß Trübe Wolken, Herbstesluft, Einsam wandl' ich meine Straßen, Welkes Laub, kein Vogel ruft - Ach, wie stille! wie verlassen! Todeskühl der Winter naht; Wo sind, Wälder, eure Wonnen? Fluren, eurer vollen Saat Goldne Wellen sind verronnen! Es ist worden kühl und spät, Nebel auf der Wiese weidet, Durch die öden Haine weht Heimweh; - alles flieht und scheidet. Herz, vernimmst du diesen Klang Von den felsentstürzten Bächen? Zeit gewesen wär' es lang, Daß wir ernsthaft uns besprächen! Herz, du hast dir selber oft Weh getan und hast es andern, Weil du hast geliebt, gehofft; Nun ist's aus, wir müssen wandern! Nikolaus Lenau (1802-1850)
Müder Glanz der Sonne! Blasses Himmelblau! Von verklungner Wonne Träumet still die Au. An der letzten Rose Löset lebenssatt Sich der letzte lose, Bleiche Blumenblatt! Goldenes Entfärben Schleicht sich durch den Hain! Auch Vergehn'n und Sterben Däucht mir süß zu sein. Friedrich Karl von Gerok (1815-1890)
Wie ferne Tritte hörst du 's schallen, Doch weit umher ist nichts zu sehn, Als wie die Blätter träumend fallen Und rauschend mit dem Wind verwehn. Es dringt hervor wie leise Klagen, Die immer neuem Schmerz entstehn, Wie Wehruf aus entschwundnen Tagen, Wie stetes Kommen und Vergehn. Du hörst, wie durch der Bäume Gipfel Die Stunden unaufhaltsam gehn, Der Nebel regnet in die Wipfel, Du weinst und kannst es nicht verstehn. Martin Greif (1839-1911) [pseudonym]
Der graue Nebel tropft so still Herab auf Feld und Wald und Heide, Als ob der Himmel weinen will In übergroßem Leide. Die Blumen wollen nicht mehr blühn, Die Vöglein schweigen in den Hainen, Es starb sogar das letzte Grün, Da mag er auch wohl weinen. Hermann Allmers (1821-1902)
Nach Süden Von allen Zweigen schwingen sich wandernde Vögel empor, weit durch die Lüfte klingen hört man den Reisechor, nach Süden, nach Süden in den ewigen Blumenflor. Ihr Vöglein singt munter hernieder, wir singen lustig hinaus, wenn dann der Lenz kommt, kehren wir wieder, wieder in Nest und Haus, von Süden! Jetzt aber hinaus! Verfasser unbekannt
Es fällt das Laub wie Regentropfen so zahllos auf die Stoppelflur; matt pulst der Bach wie letztes Klopfen im Todeskampfe der Natur. Still wird's! Und als den tiefen Frieden ein leises Wehen jetzt durchzog, da mocht' es sein, daß abgeschieden die Erdenseele aufwärts flog. Theodor Fontana