Stirbt ein alter Mensch, stirbt die Vergangenheit; stirbt ein Partner, stirbt die Gegenwart; stirbt ein Kind, stirbt die Zukunft.
Unser Leben ist wie die Harmonie der Welt aus Gegensätzlichem zusammengesetzt, aus ungleichen Tönen:weichen und harten, hellen und dunklen, sanften und strengen. Ein Musiker, der nur die einen liebte-was hätte er uns schon zu sagen? Er muss sie vielmehr gemeinsam zu benutzen und recht zu mischen wissen:wie wir das Gute und das Böse, die beide unseren Leben wesenseigen sind. Michel de Montaigne
@Nachtigall Selbstverständlich gehört zur Liebe sowohl die Selbstliebe (ohne die vieles Gute schwer möglich ist) als auch die Liebe zu Anderen. Was wären wir alle ohne diese grundlegenden Empfindungen von Anfang an??? Und sicher begleitet man sich in guten wie in weniger guten Zeiten. Es ist aber Fakt und das reale Leben, dass man erwartet, unerwartet, plötzlich und sogar gewaltsam geliebte Menschen (analog auch Tiere) verlieren kann; es ist nicht immer und schon gar nicht immer ausreichend Zeit da, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Manche brauchen dafür nur Stunden oder Tage, andere Jahre oder ein ganzes Leben. Das schützt vor der Auseinandersetzung mit der unausweichlichen - auch und vor Allem der eigenen! - Endlichkeit nicht. Ich würde das "loslassen" nicht so negativ sehen und empfinde den Begriff auch nicht als hart - vielleicht ist es die Aufgabe für uns als Zurückbleibende, zu einer Akzeptanz für den Zyklus des Lebens zu kommen, deren Ziel es ist, im doppelten Sinne gelassen zu werden und (unsere Lieben gehen) gelassen zu haben. Trauer ist eine elementare, zutiefst menschliche und ganz individuelle Empfindung - sie dauert kurz bis lebenslang, ist wichtig, richtig und hat ihre Zeit. Und Trennungen (ob vorübergehend oder für immer) haben auch ihre Zeit. Das Eine schließt das Andere nicht aus! Ich finde, auch an und mit der Trauer kann mensch wachsen. @PiRi Ich glaube nicht, dass irgend jemand Dir "Egoismus" im landläufigen Sinne unterstellen möchte; das Wort Egoismus ist vielleicht ungeschickt gewählt, meint aber etwas Wesentliches (vielleicht eine Art oft unbewussten Überlebenswillens!) und gehört nach meiner Erfahrung - mit zahlreichen Facetten - unbedingt zu dieser Thematik. @Kalip Du hast es sehr eindrücklich beschrieben, dass die Liebe und damit auch ein Mensch auch dann "bleibt", wenn man seinen Abschied akzeptieren, vielleicht sogar begrüßen und von ihm lassen kann (los lassen...) Gruß, Frau Meier
@ Frau Meier: Ich habe grundsätzlich nichts gegen das Loslassen zu sagen, es sollte durchaus nicht negativ klingen. Wenn man nicht irgendwann loslassen kann, kann man sich auch schwerlich neu im Leben orientieren. Ich wollte damit sagen, dass man das vom Trauernden nicht von Anfang an erwarten sollte und schon gar nicht sagen sollte "du musst loslassen". Das ist anfangs zuviel verlangt und kann auch Jahre dauern, je nachdem wie nahe man sich gestanden hat.
@Nachtigall Da sind wir uns einig Niemand hat das Recht, etwas von einem Trauernden zu "verlangen" (außer vielleicht er selbst) - allenfalls unterstützen und "lassen" ist auch hier angesagt
Ich habe loslassen vor eintritt des todes gemeint. Vielleicht ist gehenlassen ein besserer ausdruck, wenn es ihn als solchen denn gibt. Ich habe mich entschlossen, einem sterbenden nicht mehr die hand zu halten. So schwer das auch fällt. Ich kann mir nicht sicher sein, natürlich nicht, aber ich glaube nicht, dass ich wünsche, das jemand mich berührt, wenn ich gehe. Nicht dass es wahrscheinlich ist, dass dies jemand versuchen wurde
Caliban, ja, das ist oft ein Problem der Sterbenden, dass Angehörige sie nicht gehen lassen können. Den Fall hatte ich erst vor wenigen Wochen in der Sterbebegleitung. Aber die Sterbenden wissen schon, wie sie das machen. Sie gehen einfach dann, wenn derjenige kurz rausgeht usw. Bei der Mutter einer Freundin war es so, dass eine Tochter sie nicht gehen lassen konnte. Diese Tochter ist dann gestürzt und musste 3 Tage liegen, in der Zeit ist dann die Mutter verstorben. Das Berühren ist eigentlich nicht das Problem, viele Sterbende, die Angst haben, brauchen das. Aber es ist so, dass die Sterbenden es spüren, wenn sie jemand nicht gehen lassen kann.
Für mich bedeutet loslassen auch gehen lassen, den Verstorbenen nicht krampfhaft festhalten. Das heißt aber nicht, dass man ihn vergisst. Die, die man liebt, haben zeitlebens einen Platz in unserem Herzen.
@caliban Ich habe sowohl vor als auch danach gemeint @Nachtigall Kann ich aus mehrfacher eigener Erfahrung bestätigen; umgekehrt gibt es auch Menschen, die nicht sterben können, bis eine bestimmte Person noch einmal da war.....und dann kommen sie zur Ruhe!
Im Übrigen kann man das vorher nie sagen. Eine Patientin wollte unbedingt allein sein in ihren letzten Momenten. Sie wollte nicht, dass das Pflegepersonal die Angehörigen extra holt. Aber dann kam es ganz anders. Sie ließ es zu, dass die beiden dabei waren, mit denen sie immer Probleme hatte. Es muss ein versöhnlicher, friedlicher Abschied gewesen sein. @ Frau Meier: Stimmt! @ Sinela: Ich bin auch deiner Meinung!
Auch ich habe schon oft Mensche gehen lassen müssen in meinem Leben,Schwester(16),Cousine(6),Oma(86),Vater(49),und jetzt vor knapp 2 Jahren meine beste Freundin(40) und im letzten Jahr meine Mutter(79). Meine Erfahrung ist, das man immer wieder anders damit umgeht,weil auch dein eigenes Alter eine Rolle spielt,Trauer wird immer da sein ,wenn man an die Menschen denkt.Weil jede Person ja auch etwas in deinem Leben hinterlassen hat ,wird sie immer eine Rolle spiele. Ich bin selbst froh heute das ich sowohl meine Freundin(Krebs) bis zum Schluss begleiten konnte,wobei es nicht leicht war. Auch bei meiner Mutter waren meinBruder und ich bis zu Ihrem Ende dabei,wir wollten sie nicht allein gehen lassen und merkten auch das es sie ruhiger machte. Trotzdem kommen immer wieder Tage wo ich sehr traurig bin und nicht begreifen kann das sie nicht mehr ist.Aber ich weiss auch ,das es für sie eine Erleichterung war. Was mir auffällt ist ,das nicht viele Menschen gern vom Tod und Abschied reden,aber er gehört leider zum Leben dazu. Gruss Ivalo
Trotz des Themas eine angenehme und tiefgründige Diskussion. Danke Vielleicht noch einen kurzen Hintergrund zu meinen Aussagen. Ich empfinde es so, dass sich die Basis der Diskussion auf den "kontrollierten" Abschied bezieht. Mein Hintergrund und meine Erfahrungen haben mit dem plötzlichen Tod zu tun. Also den plötzlichen natürlichen Tod, den Unfall, das Unglück, den Suizid, den erweiterten Suizid, die Todesnachrichtübermittlung usw.. Gegenüber dem "kontrolliertem" Abschied fehlt hier einfach der Fakt des Abschiednehmens. Von einem Suizid im Gleisbereich gibt es nicht mal einen Abschied durch einen letzten Blick auf den Leichnam. Wobei immer versucht wird, in i-einer Form einen "Abschied" zu ermöglichen. Wenn möglich unter dem Leichentuch einen letzten "Händedruck". Hier reagieren die Menschen einfach anders, als wenn sie z.B. in einem Hospiz ihre Angehörigen begleiten. Bei einem Suizid kommt durchaus schon die Frage von Angehörigen: "Warum tust du mir das an?"
Ja, das ist so ziemlich das intensivste, was geschehen kann. Wie, wenn der boden weggezogen wird und nur ein loch bleibt und der horizont sich auflöst.
In der ganzen Diskussion gehen wir davon aus, dass es sich um einen Abschied von Menschen handelt, die für uns gut waren, zu denen eine liebevolle Beziehung bestand. Ich bin am Überlegen, wie ich wohl damit umgehen werde, wenn meine Mutter stirbt. Sie ist jetzt 85. Es ist die Frau, die mich als Kind misshandelt hat, die zu mir als Kind gesagt hat: wenn du tot wärst, hätte ich meine Ruhe, aber alles ableugnet und sich als beste Mutter der Welt sieht (zum Glück bestätigt mein Bruder meiner Erinnerungen). Die Frau, die auch später immer wieder kränkende und beleidigende Äußerungen mir gegenüber gemacht hat, bis ich vor zwei Jahren die Kraft fand, den Kontakt abzubrechen. Es sterben doch nicht nur herzensgute Menschen, es sterben auch grausame, lieblose, kriminelle, ............. Oft stehen auch ganz unterschiedliche Erfahrungen mit dem gleichen Menschen im Raum. Ich war sehr froh, dass der Pfarrer beim Trauergespräch nach dem Tod meines Schwiegervaters(93) das angesprochen hat, dass man auch über die schwierigen Seiten des Verstorbenen reden darf. Was brach da aus den Söhnen (55 - 67) heraus! Selbst im hohen Alter hat er noch keinen guten Faden an seinen Söhnen gelassen und sie ständig herabgesetzt und abgewertet. Wir Schwiegertöchter hatten keine Probleme mit ihm und für seine Enkel und Urenkel war er ein liebevoller Opa.
Wahre Worte, Lächeln. Habe seit über 20 Jahren keinen Kontakt zu meinen Eltern und das hat seine Gründe. Vor 1 Jahr ist mein Vater verstorben, was ich erst Monate später vom Nachlassgericht mitgeteilt bekommen habe. Was ich dabei empfunden habe? Schlicht gesagt: absolut nix
Auch in diesem Fall wie bei Lächeln sind die Reaktionen wohl verschieden. Je nachdem, ob man schon vorher den Kontakt abgebrochen und das Schlimme verarbeitet hat oder ob noch immer Wut und Schmerz da sind. Die Einen spüren tatsächlich nichts mehr, die anderen trauern trotz allem. In der Trauerbegleitung lernt man, das man auch sehr trauern kann, wenn das Verhältnis nicht gut war. Man trauert dann über das, was man gerne gehabt hätte und nie haben durfte. Und wenn man immer seine Wut verdrängen musste, kann es sein (wie es bei meiner Freundin war), dass man im Nachhinein davon krank wird und erst wieder gesunden kann, wenn man diese Wut rauslässt, die den Schmerz zudeckt, und sich damit auseinandersetzt. So wie es die verschiedensten Charaktere gibt, so gibt es verschiedene, ganz persönliche Arten der Trauer.
Hat man sich dann nicht irgendwie schon vorher von etwas oder jemandem "verabschiedet"? (und sei es von dem guten Kern, den mancher Mensch nicht oder nicht mehr hatte und von dem er sich aus welchen Gründen auch immer lange vorher verabschiedet hat....niemand kommt als "Monster", Misshandler, Dieb oder Betrüger zur Welt, sondern wird - meist von anderen Menschen und durch fehlgeleitete Sozialisation - dazu gemacht) Man könnte darüber endlos philosophieren.
Kann sein, Frau Meier, kann aber auch nicht sein, falls man immer noch Hoffnung hatte, dass sich derjenige doch noch mal ändern könnte. Das liegt dann wohl wieder am Wesen des Menschen. Wie du sagtest, da könnte man endlos philosophieren.
Möchte ich mal aus meinen Erfahrungen verneinen. Selbst wenn bei einem "kontrolliert" möglichen Abschied lange Jahre kein Kontakt mehr bestand, kann man den früheren Bruch nicht als "Abschied" bezeichnen. Gerade dieser frühere Bruch, hat noch sehr viele Fragen und Probleme offen. Ein Bruch kommt nicht von ungefähr und vieles geschah im Ärger und Zorn. Gerade dieses Thema spielt beim plötzlichen Tod eine sehr große Rolle. Was hier unseren KollegenInnen in der Akutphase von Angehörigen oft erzählt wird, fängt meistens an mit: ".... ich wollte ihm doch noch sagen....". Hilfreich ist hier, den Angehörigen auf den Weg zu geben, alles was ihnen noch auf der Seele brennt niederzuschreiben und dem Sarg oder Grab beizulegen. Ist überhaupt kein Problem und wird so von jedem Bestatter bei Wunsch auch gehandhabt. Es wird von den Angehörigen durchaus als "Befreiung" empfunden. Immer gut sich darüber Gedanken zu machen und nicht wie in unserer Gesellschaft durchaus üblich, das Thema zu verdrängen.
@ Frau Meier: marxist also auch noch! Als leitfaden im leben sollte wohl gelten, das man konflikte mit wie auch immer nahestehenden sofort klärt und nicht schleppen lãsst. Das wird dann zu einer last, derer man sich nur schwer entledigen kann, wenn es denn durch den tod nicht mehr möglich ist. Ich weiss natürlich, dass das théorie ist. Aber als leitfaden versuche ich mich daran zu halten. Es mag in der gegenwart schwierig sein . Aber schnell ist die gegenwart vergangenheit und ungelöste konflikte belasten einem dann die zukunft.