Therapie der Stammzellentransplantation

Dieses Thema im Forum "Medikamente/Therapien" wurde erstellt von Matsre, 5. November 2013.

  1. Matsre

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    Wenn das Immunsystem ausgetauscht wird

    Die Transplantation von Stammzellen kann bei schweren rheumatischen Erkrankungen helfen. Dazu zerstört eine radikale Chemotherapie zunächst fast alle Abwehrzellen des irregeleiteten Immunsystems. Von Shari Langemak


    Für unseren Körper gilt eine strikte Einlasskontrolle. Nur bekannte Zellen, die auf ihrer Oberfläche die höchst spezielle Proteinkombination eines jeden Menschen tragen, dürfen sich schadlos im Körper tummeln. Bei unbekannten Zellen kennt das Immunsystem dagegen meist keine Gnade: Wird ein unbekannter Gast ertappt, wird er von Abwehrzellen eliminiert. Dieses System ist lebenswichtig. Nur dank der strengen Wächter sind wir gegen die meisten Infektionen gewappnet.

    Manchmal gerät diese Kontrolle aber außer Kontrolle. Statt fremde Bakterien und Viren zu bekämpfen, greift das Abwehrsystem dann körpereigene Zellen an. In solchen Fällen spricht man von einer Autoimmunerkrankung. Je nachdem, welche harmlosen Körperzellen auf der Abschussliste des Abwehrsystems stehen, kommt es zu leichten bis sehr schlimmen und teilweise sogar lebensbedrohlichen Beschwerden. Auch rheumatische Erkrankungen gehören dazu. Die Symptome und Ausprägung sind allerdings sehr unterschiedlich. Je nachdem, welche Proteine das Abwehrsystem auf dem Kieker hat, kommt es zu den bekannten Gelenkbeschwerden oder aber auch zu einer Beteiligung von Haut, Niere und weiteren Organen.
    Durch die Verwendung dieser Zellen erhoffen sich Mediziner Durchbrüche bei der Behandlung von Herzkrankheiten, Parkinson oder Querschnittslähmung

    Viele Einflussfaktoren

    Warum manche Menschen Rheuma bekommen, andere aber wiederum nicht, das ist bisher in vielen Bereichen noch unklar. Fest steht nur, dass es einige Risikofaktoren gibt, die sowohl den Ausbruch einer rheumatischen Erkrankungen als auch die einzelnen Krankheitsschübe beeinflussen. "Genetische Faktoren spielen eine Rolle, aber auch äußere Einflüsse wie Infektionen, Stress, Hormone und Sonnenlicht", sagt Falk Hiepe, leitender Oberarzt an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Berliner Charité.

    Besonders schwere Folgen haben rheumatische Erkrankungen, wenn sie "systemisch" verlaufen – wenn also Krankheitsfolgen an vielen Stellen des Körpers auftreten. Der systemische Lupus erythematodes befällt so neben den Gelenken auch sehr häufig Haut und Nieren. Ist der Angriff auf die Nieren stark, droht sogar ein fortschreitendes Nierenversagen. Bei der systemischen Sklerodermie greift das Immunsystem dagegen vor allem das Bindegewebe an, das infolgedessen zunehmend verhärtet. Daneben kommt es meist zu Durchblutungsstörungen und Funktionseinschränkungen bei Herz, Nieren, Lunge und Magen-Darm-Trakt.

    Folgenschwere Organbeteiligung

    Aufgrund der Organbeteiligung ist bei beiden Erkrankungen – sowohl beim systemischen Lupus erythematodes als auch bei der systemischen Sklerodermie – eine konsequente Behandlung besonders wichtig. Sonst drohen fortschreitende Organschäden. Was aber, wenn kein Medikament dagegen helfen will? In diesen speziellen Fällen kann eine Behandlungsmethode wirksam sein, die die meisten nur aus der Krebstherapie kennen: Die Stammzelltransplantation. Auf dem vergangenen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) in Heidelberg und Mannheim berichteten Hiepe und seine Kollegen von der Charité über diese außergewöhnliche Behandlungsmethode.

    Die Transplantation kommt allerdings nur bei wenigen Patienten überhaupt infrage. Erst wenn durch die Organbeteiligung schwere Langzeitschäden drohen und Medikamente den Fortschritt der Erkrankung nicht aufhalten können, versucht man die Stammzelltransplantation – oft mit guten Ergebnissen, wie Hiepe erklärt: "Einige unserer Patienten hatten sogar schon seit über zehn Jahren keinen Schub mehr."

    Austausch des Immunsystems

    Ihre plötzliche Besserung verdanken die Patienten dem nahezu kompletten Austausch des Immunsystems. Eine radikale Chemotherapie zerstört nämlich zunächst fast alle Abwehrzellen – auch diejenigen Übeltäter, die es auf körpereigene Zellen abgesehen haben. Da andere, gesunde Abwehrzellen jedoch weiterhin dringend gebraucht werden, sorgt man mit einer Blutentnahme vor, die noch vor der Chemotherapie erfolgt. Da die Stammzellen von dem Patienten selbst stammen, spricht man von einer sogenannten "autologen" Stammzelltransplantation.

    Eine ausreichende Anzahl dieser Zellen findet man jedoch nicht einfach so im Blut. Erst durch die Gabe bestimmter Wachstumsfaktoren wird die Produktion der Stammzellen im Knochenmark angeregt, sodass sie sich danach in hoher Zahl im Blutstrom befinden – und damit auch in der Blutkonserve, die als Grundlage für die spätere Transplantation dient. Aus diesem Blut müssen aber natürlich die schädlichen Autoimmunzellen und andere Blutzellen aussortiert werden, sodass am Ende ein an Stammzellen reiches Gemisch übrig bleibt, das nach der Chemotherapie transplantiert werden kann. Im Blutstrom des Patienten angekommen, bahnen sich die Stammzellen dann ihren Weg ins Knochenmark, um dort ein neues, gesundes Abwehrsystem aufbauen – ohne Autoimmunzellen.

    So lautet zumindest der Wunsch. Denn ein paar Autoimmunzellen können dennoch zurückbleiben, trotz Chemotherapie und sorgfältigen Sortierens. "Man kann weder ausschließen, dass ein kleiner Anteil an Autoimmunzellen im Körper erhalten bleibt, noch dass durch die Stammzelltherapie einige wenige Autoimmunzellen übertragen werden", sagt Hiepe. "Was wir aber sagen können, ist, dass die Krankheitsaktivität durch die Behandlung in der Regel deutlich zurückgeht."

    Fortschritte in der Therapie

    Ähnliche Erfolge meldet auch ein ganz anderer Bereich der Medizin – nämlich die Neurologie. Auch bei der multiplen Sklerose, einer fortschreitenden Entzündung des Zentralen Nervensystems, kann die autologe Stammzelltransplanation von Nutzen sein. Doch auch hier wird sie eher selten angewendet. "Die Behandlung wird nur dann in Erwägung gezogen, wenn sich die multiple Sklerose in einem frühen, sehr aktiven Stadium mit vielen Schüben befindet und andere Behandlungsmethoden kaum Wirkung zeigen", sagt der Neurologe Lutz Harms, Experte für multiple Sklerose an der Berliner Charité.

    Grund für die geringe Anwendung ist auch der Fortschritt anderer Behandlungsmethoden, beispielsweise die Gabe spezifischer Antikörper, die sich gegen Autoimmunzellen richten. Die Behandlung sei deshalb eine absolut experimentelle Therapie, die nur für sehr wenige Multiple-Sklerose-Patienten überhaupt infrage komme, sagt Harms.

    Ähnliches gilt mittlerweile auch für viele rheumatische Erkrankungen. Spezifischere Medikamente versprechen auch hier künftig bessere Ergebnisse. Denn das Hauptproblem bisher verwendeter Medikamente ist, dass sie das gesamte Abwehrsystem dämpfen und bei jahrelanger Einnahme oft einige Nebenwirkungen mit sich bringen. "Während früher keine Mittel zur Behandlung zur Verfügung standen und die Betroffenen deshalb in erster Linie mit den schweren Krankheitsfolgen zu kämpfen hatten, stehen heutzutage häufig die Nebenwirkungen der Medikamente im Vordergrund", sagt Hiepe.

    Infektanfälligkeit bleibt

    Trotzdem bleiben genau diese Medikamente bisher noch lebenswichtig. Schließlich würde ohne sie die körpereigene Zerstörung einfach fortschreiten – möglicherweise mit schweren Organschäden. Mit einer gewissen Infektanfälligkeit muss allerdings auch der Stammzelltransplantierte rechnen, selbst wenn er nach der Behandlung keine Immunsuppressiva mehr brauchen sollte. Schließlich hat er bei der Chemotherapie nahezu sein gesamtes Abwehrsystem verloren – und der Aufbau einer komplett neuen Körperabwehr braucht Zeit. Mindestens ein Jahr müsse man für diesen Prozess einrechnen, sagt Hiepe.

    Mithilfe von neuen Wirkstoffen soll es dagegen in Zukunft möglich sein, Autoimmunzellen gezielt zu zerstören – ohne dabei der regelrechten Körperabwehr zu schaden. Denn auch wenn ein paar Abwehrzellen sich zu fehlgeleiteten Autoimmunzellen entwickeln können, so leistet der Rest der Körperpolizei noch immer einen lebenswichtigen Dienst für die Gesundheit.

    Artikel aus: Dier Welt vom 22.09.2013

    http://www.welt.de/gesundheit/article120232899/Wenn-das-Immunsystem-ausgetauscht-wird.html
     
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