Sommermorgen Auf Bergeshöhen schneebedeckt, Auf grünen Hügeln weitgestreckt Erglänzt die Morgensonne; Die tauerfrischten Zweige hebt Der junge Buchenwald und bebt Und bebt in Daseinswonne. Es stürzt in ungestümer Lust Herab aus dunkler Felsenbrust Der Gießbach mit Getose, Und blühend Leben weckt sein Hauch Im stolzen Baum, im niedren Strauch, In jedem zarten Moose. Und drüben wo die Wiese liegt, Im Blütenschmuck, da schwirrt und fliegt Der Mücken Schwarm und Immen. Wie sich's im hohen Grase regt Und froh geschäftig sich bewegt, Und summt mit feinen Stimmen. Es steigt die junge Lerche frei Empor gleich einem Jubelschrei Im Wirbel ihrer Lieder. Im nahen Holz der Kuckuck ruft, Die Amsel segelt durch die Luft Auf goldenem Gefieder. O Welt voll Glanz und Sonnenschein, O rastlos Werden, holdes Sein, O höchsten Reichtums Fülle! Und dennoch, ach - vergänglich nur Und todgeweiht, und die Natur Ist Schmerz in Schönheitshülle. Ebner-Eschenbach, Marie von (1830-1916)
Morgen-Hymne Bald ist der Nacht ein End' gemacht, Schon fühl' ich Morgenlüfte wehen. Der Herr, der spricht: »Es werde Licht!« Da muß, was dunkel ist, vergehen. Vom Himmelszelt durch alle Welt Die Engel freudejauchzend fliegen; Der Sonne Strahl durchflammt das All. Herr, laß uns kämpfen, laß uns siegen! Robert Reinick (1805-1852)
Gegenwart Alles kündet dich an! Erscheinet die herrliche Sonne, Folgst du, so hoff ich es, bald. Trittst du im Garten hervor, So bist du die Rose der Rosen, Lilie der Lilien zugleich. Wenn du zum Tanze dich regst, So regen sich alle Gestirne Mit dir und um dich umher. Nacht! und so wär es denn Nacht! Nun überscheinst Du des Mondes lieblichen, ladenden Glanz. Ladend und lieblich bist Du, Und Blumen, Mond und Gestirne huldigen, Sonne, nur Dir. Sonne! so sei du auch mir Die Schöpferin herrlicher Tage; Leben und Ewigkeit ist's. Johann Wolfgang von Goethe
Gott hieß die Sonne glühen und leuchten durch alle Welt, er hieß die Rosen blühen auf duftigem Blumenfeld, er hieß die Berge sich türmen und über die Lande erheben, ließ Winde wehen und stürmen, schuf vielgestaltiges Leben. Er gab den Vögeln Gefieder, dem Meere sein ewiges Rauschen, mir gab er sinnige Lieder, euch Ohren, ihnen zu lauschen. Und was die Sonne glüh't, was Wind und Welle singt, und was die Rose blüh't, was auf zum Himmel klingt, und was vom Himmel nieder, das weht durch mein Gemüt, das klingt durch meine Lieder. Ihm färbt der Morgensonne Licht Den reinen Horizont mit Flammen, Und über seinem schuld'gen Haupte bricht Das schöne Bild der ganzen Welt zusammen. Friedrich Martin von Bodenstedt (1819-1892)
Der Morgen Fliegt der erste Morgenstrahl Durch das stille Nebeltal, Rauscht erwachend Wald und Hügel: Wer da fliegen kann, nimmt Flügel! Und sein Hütlein in die Luft Wirft der Mensch vor Lust und ruft: Hat Gesang doch auch noch Schwingen, Nun, so will ich fröhlich singen! Hinaus, o Mensch, weit in die Welt, Bangt dir das Herz in krankem Mut; Nichts ist so trüb in Nacht gestellt, Der Morgen leicht machts wieder gut. Joseph von Eichendorff
Morgenlied Auf, Brüder, auf! der Tag bricht an, die hohe Sonne fährt heran! Auf, teure Brüder, säumet nicht, uns winkt ihr allbelebend Licht. Wie sie in königlicher Pracht am Himmel dort so freundlich lacht, o seht sie Segen und Gedeihn auf den erwachten Erdball streun. Gott, dessen Allmacht sie erschuf, erschuf auch uns, mit dem Beruf, zu tun zum Glücke seiner Welt, was unsern Kräften möglich fällt. Karoline Christiane Louise Rudolphi (1754-1811)