Herz fühlt und Verstand denkt Eines Tages machte sich der Verstand auf, das Herz zu besuchen. Er war sich sicher mit dem Herzdringend etwas klären zu müssen. Er durchdrang einige ihm unwirklich und unsinnig erscheinende Welten, um zum Herz zu gelangen. Aber das bestärkte ihn nur in seiner Absicht, und als er das Herz erreichte, staunte er nicht schlecht, denn so groß hatte er es sich nicht vorgestellt. Freundlich begrüßte er das Herz und sprach ‚Du, Herz, ich weiß, dass du mich schon seit langer Zeit immer mehr ablehnst. Weißt du denn nicht, das ich immer nur das denke, was ich für richtig halte? Ich will doch nicht gegen dich kämpfen. Ich weiß ich muss mit dir auskommen, ob das nunso vernünftig ist, oder nicht. Was bleibt uns anderes übrig.’ Das Herz lächelte und erwiderte darauf ‚Du, Verstand, ich fühle, dass auch du mich seit langer Zeit immer mehr ablehnst. Fühlst du denn nicht, dass ich immer nur das empfinde, was ich für richtig halte? Und kämpfen kann ich gar nicht. Ich kann nur lieben, leiden, zulassen, oder loslassen. Doch das alles hat die gleiche Kraft, wie du, wenn du kämpfst.’ ’Aber Herz, denk doch mal nach, wie viele Schmerzen du erleidest, weil du ohne mich gar nicht weißt, wo die Gefahren lauern!’ ’Du magst manchmal recht haben. Aber ich kann nicht denken noch wissen. Ich kann nur fühlen. Spürst du denn nicht, wie viel Freude dir entgangen wäre, wenn ich mich nicht hingegeben und vertraut hätte?’ ’Nun ja. Ich muss zugeben, das klingt einleuchtend. Aber ich kann nicht fühlen und spüren, deshalb verwirrt es mich auch immer wieder, durch welche Welten du mich schickst. Ständig ziehst du mich hinauf oder hinunter. Mir wird dann ganz schwindelig. Ich kann dieses für mich unsinnige Drunter-und-Drüber einfach nicht verstehen, darum fange ich an gegen dich zu kämpfen.’ ‚Ich bin nun mal ein Herz. Was meinst du denn, wie es für mich ist, wenn ich randvoll bin mit Liebe und du stößt mir ständig deine Ellenbogen in die Seite und sagst, pass auf, das kann schief gehen. Oder ich fühle Trauer, die ich bewältigen muss, doch du verlangst von mir, diese in mir zu begraben und mich zusammenzureißen. Wenn du mich ständig dazu zwingen willst meine Gefühle zu verdrängen, sind sie nicht verschwunden, nur für dich nicht mehr sichtbar. Ich tragen sie wie eine schwere Last mit mir herum.’ ’Das ist nicht gut’ sagte der Verstand, ‚das weiß sogar ich. - Ich hab es gelesen’ fügte er kleinlaut hinzu. ‚Wir sind so gegensätzlich. Es muss doch aber einen Sinn haben, dass wir gezwungen sind mit einander auszukommen’. ’Aber Herz, denk doch mal nach, wie viele Schmerzen du erleidest, weil du ohne mich gar nicht weißt, wo die Gefahren lauern!’ ’Das hat es auch’, sagte das Herz,’ ich fühle, das gerade diese Gegensätze nicht dazu da sind, dass wir einander kleiner machen, sondern uns gegenseitig bereichern. Ich werde in Zukunft versuchen zu spüren, wenn du mich warnen willst, und den Weg zu empfinden, den du mir zeigst. Mehr kann ich nicht für uns beide tun, denn ich werde immer ein Herz sein und auf mein Gefühl hören’. ’Das ist schon sehr viel’ sprach der Verstand anerkennend, ‚dann will ich nicht mehr mit Ellenbogen gegen dich vorgehen, sondern dich mit meinem Rat begleiten’. Das Herz fühlt und der Verstand denkt auch weiterhin, aber sie waren sich ihrer einzigartigen Aufgabe bewusst und konnten viele Abschnitte des Weges friedlich nebeneinander gehen. Nicole Schrader