Die vier Brüder Vier Brüder geh'n Jahr aus, Jahr ein Im ganzen Jahr spazieren; Doch Jeder kommt für sich allein, uns Gaben zuzuführen. Der erste kommt mit leichtem Sinn, in reines Blau gehüllet, streut Knospen, Blätter, Blüten hin, Die er mit Düften füllet. Der zweite tritt schon ernster auf Mit Sonnenschein und Regen, Streut Blumen aus in seinem Lauf, Der Ernte reichen Segen. Der Dritte naht mit Überfluss Und füllet Küch' und Scheune, Bringt uns zum süßesten Genuss Viel Äpfel, Nüss und Weine. Verdrießlich braust der Vierte her, In Nacht und Graus gehüllet, Zieht Feld und Wald und Wiesen leer, die er mit Schnee erfüllet. Wer sagt mir, wer die Brüder sind, die so einander jagen? Leicht rät sie wohl ein jedes Kind, Drum brauch' ich's nicht zu sagen.
Goldne Abendsonne, o, wie bist du schön! Nie kann ohne Wonne deinen Glanz ich sehn! Schon in zarter Jugend sah ich gern nach dir, und der Trieb der Tugend glühte mehr in mir! Doch von dir, o Sonne! wend' ich meinen Blick mit noch grössrer Wonne auf mich selbst zurück! Schuf uns ja doch beide Eines Gottes Hand! dich im Strahlenkleide, mich im Staubgewand! Anna Barbara Urner (1760-1803)
Sinke, liebe Sonne, sinke! Ende deinen trüben Lauf, Und an deine Stelle winke Bald den Mond herauf. Herrlich und schöner dringe Aber Morgen dann herfür, Liebe Sonn'! und mit dir bringe Meinen Lieben mir. Gabriele von Baumberg (1768-1839
An die Entfernte Die Welt ruht still im Hafen, Mein Liebchen, gute Nacht! Wann Wald und Berge schlafen, Treu' Liebe einsam wacht. Ich bin so wach und lustig, Die Seele ist so licht, Und eh' ich liebt', da wußt' ich Von solcher Freude nicht. Ich fühl' mich so befreiet Von eitlem Trieb und Streit, Nichts mehr das Herz zerstreuet In seiner Fröhlichkeit. Mir ist, als müßt' ich singen So recht aus tiefster Lust Von wunderbaren Dingen, Was niemand sonst gewußt. O könnt' ich alles sagen! O wär' ich recht geschickt! So muß ich still entragen, Was mich so hoch beglückt. Joseph von Eichendorff
Du schönes Fischermädchen, Treibe den Kahn ans Land; Komm zu mir und setze dich nieder, Wir kosen Hand in Hand. Leg an mein Herz dein Köpfchen Und fürchte dich nicht zu sehr; Vertraust du dich doch sorglos Täglich dem wilden Meer. Mein Herz gleicht ganz dem Meere, Hat Sturm und Ebb' und Flut, Und manche schöne Perle In seiner Tiefe ruht. Heinrich Heine
Ich bin die Blum' im Garten, Und muß in Stille warten, Wann und in welcher Weise Du trittst in meine Kreise. Kommst du, ein Strahl der Sonne, So werd' ich deiner Wonne Den Busen still entfalten Und deinen Blick behalten. Kommst du als Tau und Regen, So werd' ich deinen Segen In Liebesschalen fassen, Ihn nicht versiegen lassen. Und fährtest du gelinde Hin über mich im Winde, So werd' ich dir mich neigen, Sprechend: Ich bin dein eigen. Friedrich Rückert (1788-1866)
Ach, wenn ich doch ein Immchen wär, Frisch, flinck und frei und klein und fein: An jedem süßem Blumenblatt Tränk ich im Frühlingsduft mich satt. Wie wollt ich säugen Tag und Nacht An all der frischen Frühlingspracht. Husch! gings zu allen Blumen hin, Sie wissen schon, daß ich es bin. Die ganze, ganze Frühlingslust Sög ich dann ein in meine Brust, Und hätt ich ihn so ganz in mir, Den Frühling, Liebchen, brächt ich dir. Wilhelm Osterwald (1820-1887)
Gruß Ihr Vöglein in den Lüften, Schwingt mit Gesang euch fort Und grüßet mir den teuren, Den lieben Heimatsort! Ihr Lerchen, nehmt die Blüten, Die zarten mit hinaus! Ich schmückte sie zur Zierde Für's teure Vaterhaus. Du Nachtigall, o schwinge Dich doch zu mir herab Und nimm die Rosenknospe Auf meines Vaters Grab! Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900)
Jeden Morgen geht die Sonne auf In der Wälder wundersamer Runde. Und die hohe, heilge Schöpferstunde, Jeden Morgen nimmt sie ihren Lauf. Jeden Morgen aus dem Wiesengrund Heben weiße Schleier sich ins Licht, Uns der Sonne Morgengang zu künden, Ehe sie das Wolkentor durchbricht. Jeden Morgen durch des Waldes Hall'n Hebt der Hirsch sein mächtiges Geweih. Der Pirol und dann die Vöglein alle Stimmen an die große Melodei. Hermann Claudius
O Sonnenschein, o Sonnenschein! Wie scheinst du mir ins Herz hinein, Weckst drinnen lauter Liebeslust, Daß mir so enge wird die Brust! Und enge wird mir Stub' und Haus, Und wenn ich lauf zum Tor hinaus, Da lockst du gar ins frische Grün Die allerschönsten Mädchen hin! O Sonnenschein! Du glaubest wohl, Daß ich wie du es machen soll, Der jede schmucke Blume küßt, Die eben nur sich dir erschließt? Hast doch so lang die Welt erblickt, Und weißt, daß sich's für mich nicht schickt; Was machst du mir denn solche Pein? O Sonnenschein! o Sonnenschein! Robert Reinick (1805-1852)
Die Sonne scheint, die Sonne scheint, das ist der Zauber, die Blumen wachsen, die Wurzeln strecken sich, das ist der Zauber. Leben und stark sein, das ist der Zauber, er ist in mir, er ist in uns allen. Burnett, Frances Hodgson (1849-1924)
Ich denke Dein, wenn mir der Sonne Schimmer Vom Meere strahlt; Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer In Quellen malt. Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege Der Staub sich hebt; In tiefer Nacht, wenn aufdem schmalen Stege Der Wandrer bebt. Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen Die Welle steigt. Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen, Wenn alles schweigt. Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O wärst du da! Johann Wolfgang von Goethe
Das Glück Es ist das Glück ein flüchtig Ding, Und war's zu allen Tagen; Und jagtest du um der Erde Ring, Du möchtest es nicht erjagen. Leg' dich lieber ins Gras voll Duft Und singe deine Lieder; Plötzlich vielleicht aus blauer Luft Fällt es auf dich hernieder. Aber dann pack' es und halt' es fest Und plaudre nicht viel dazwischen; Wenn du zu lang' es warten läßt, Möcht' es dir wieder entwischen. Emanuel Geibel (1815-1884)
im Herbst Ach, wie schnell die Tage fliehen, Wo die Sehnsucht neu erwacht, Wo die Blumen wieder blühen; Und der Frühling wieder lacht! Alle Wonne soll erstehen, In Erfüllung alles gehen. Ach, wie schnell die Tage fliehen, Wo die Sehnsucht neu erwacht! Seht, die Tage gehn und kommen, Zieh'n vorüber blütenschwer, Sommerlust ist bald verglommen, Und der Herbstwind rauscht daher. Ach, das rechte Blühn und Grünen, Es ist wieder nicht erschienen! Ach, wie schnell die Tage fliehen, Wo die Sehnsucht neu erwacht! Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847)
Ich bin hinausgegangen Des Morgens in der Früh, Die Blümlein täten prangen, Ich sah so schön sie nie. Wagt' eins davon zu pflücken, Weil mir's so wohl gefiel; Doch als ich mich wollt bücken, Sah ich ein lieblich Spiel. Die Schmetterling' und Bienen, Die Käfer hell und blank, die mußten all ihm dienen Bei fröhlichem Morgensang; Und scherzten viel und küßten Das Blümlein auf den Mund, Und trieben's nach Gelüsten Wohl eine ganze Stund. Und wie sie so erzeiget Ihr Spiel die Kreuz und Quer, Hat's Blümlein sich geneiget Mit Freuden hin und her. Da hab ich's nicht gebrochen, Es wär ja morgen tot, Und habe nur gesprochen: Ade, du Blümlein rot! Und Schmetterling' und Bienen, Die Käfer hell und blank, Die sangen mit frohen Mienen Mir einen schönen Dank. Robert Reinick (1805-1852)
an einen lichten Morgen An einem lichten Morgen, da klingt es hell im Tal: wach' auf, du liebe Blume, ich bin der Sonnenstrahl! Erschließe mit Vertrauen dein Blütenkämmerlein und laß die heiße Liebe in's Heiligtum hinein. Ich will ja nichts verlangen als liegen dir im Schoß und deine Blüte küssen, eh' sie verwelkt im Moos. Ich will ja nichts begehren als ruh'n an deiner Brust und dich dafür verklären mit sonnenheller Lust Clara Schumann (1819-1896)
Wohin Bächlein, wohin eilest du? Dem Strome zu! Strom! Wohin entrollest du? Dem Meere zu! Meer, wohin aufsteigest du? Dem Himmel zu! Und der Himmel sendet liebend Wolkentränen Dank mir zu. Herz, mein Herz, du Bach im Frieden, Du in Aufruhr Strom und Meer! Ach, wohin drängt deine Woge Gar so heiß und bang und schwer. Sieh, dir öffnet seine Arme Ja des Weltall?s Riesendom! Und es wölbt sich Liebe blickend Über dir der Himmelsdom! Heinrich Stieglitz (1801-1849)
Herbst [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Die Blätter fallen, fallen wie von weit, [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]als welkten in den Himmeln ferne Gärten; [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]sie fallen mit verneinender Gebärde. [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Und in den Nächten fällt die schwere Erde [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]aus allen Sternen in die Einsamkeit. [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Und sieh dir andre an: es ist in allen. [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen [/FONT] [FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]unendlich sanft in seinen Händen hält. [/FONT] Rainer Maria Rilke
Herbstlied Bunt sind schon die Wälder, Gelb die Stoppelfelder; Und der Herbst beginnt! Rothe Blätter fallen; Graue Nebel wallen; Kühler weht der Wind! Wie die volle Traube, Aus dem Rebenlaube, Purpurfarbig strahlt! Am Geländer reifen Pfirsiche, mit Streifen Roth und weiß bemalt! Dort, im grünen Baume Hängt die blaue Pflaume, Am gebognen Ast. Gelbe Birnen winken, Daß die Zweige sinken Unter ihrer Last. Welch ein Apfelregen Rauscht vom Baum! Es legen In ihr Körbchen sie Mädchen, leicht geschürzet, Und ihr Röckchen kürzer Sich bis an die Knie. Winzer, füllt die Fässer! Eimer, krumme Messer, Butten sind bereit! Lohn für Müh`und Plage Sind die frohen Tage In der Lesezeit! Unsre Mädchen singen und die Träger springen; Alles ist so froh: Bunte Bänder schweben, Zwischen hohen Reben, Auf dem Hut von Stroh. Geige tönt und Flöte Bei der Abendröthe Und im Mondenglanz: Schöne Winzerinnen Winken und beginnen Deutschen Ringeltanz. Johann Gaudenz von Salis-Seewis
Das sind die Stunden, da ich mich finde. Dunkel wellen die Wiesen im Winde, allen Birken schimmert die Rinde, und der Abend kommt über sie. Und ich wachse in seinem Schweigen, möchte blühen mit vielen Zweigen, nur um mit allen mich einzureigen in die einige Harmonie... Rainer Maria Rilke (1875-1926)