Herz, nun so alt und noch immer nicht klug, Hoffst du von Tagen zu Tagen, Was dir der prangende Frühling nicht trug Werde der Herbst dir noch tragen? Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch Immer zu schmeicheln, zu kosen, Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch, Abends zerstreut er die Rosen. Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch, bis er ihn völlig gelichtet. Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch, Was wir geliebt und gedichtet. Friedrich Rückert
Der Knabe im Moor O schaurig ist's übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt, O schaurig ist's übers Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest hält die Fibel das zitternde Kind Und rennt, als ob man es jage; Hohl über die Fläche sauset der Wind - Was raschelt drüben am Hage? Das ist der gespenstische Gräberknecht, Der dem Meister die besten Torfe verzecht; Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! Hinducket das Knäblein zage. Vom Ufer starret Gestumpf hervor, Unheimlich nicket die Föhre, Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme wie Speere; Und wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin, Das ist die gebannte Spinnlenor', Die den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran! nur immer im Lauf, Voran, als woll' es ihn holen; Vor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen Wie eine gespenstige Melodei; Das ist der Geigemann ungetreu, Das ist der diebische Fiedler Knauf, Der den Hochzeitheller gestohlen! Da birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh, da ruft die verdammte Margret: »Ho, ho, meine arme Seele!« Der Knabe springt wie ein wundes Reh; Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh', Seine bleichenden Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwehle. Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide, Die Lampe flimmert so heimatlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief atmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: Ja, im Geröhre war's fürchterlich, O schaurig war's in der Heide! Annette von Droste-Hülshoff
[FONT=Verdana, Arial, Helvetica, sans-serif]Nun laß den Sommer gehen, Laß Sturm und Winde wehen. Bleibt diese Rose mein, Wie könnt ich traurig sein? Joseph von Eichendorff [/FONT]
Genug ist nicht genug! Gepriesen werde Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte! Tief beugt sich mancher allzureich beschwerte, Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zu Erde. Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube! Die saftge Pfirsche winkt dem durstgen Munde! Die trunknen Wespen summen in die Runde: "Genug ist nicht genug!" um eine Traube. Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen Schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses, Das Herz, auch es bedarf des Überflusses, Genug kann nie und nimmermehr genügen! Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)
Sonnenuntergang Am Untersaum des Wolkenvorhangs hängt der Sonne purpurne Kugel. Langsam zieht ihn die goldene Last zur Erde nieder, bis die bunten Falten das rotaufzuckende Grau des Meeres berühren. Ausgerollt ist der gewaltige Vorhang. Der tiefblaue Grund, unten mit leuchtenden Farben breit gedeckt, bricht darüber in mächtiger Fläche hervor, karg mit verrötenden Wolkengirlanden durchrankt und mit silbernen Sternchen glitzernd durchsät. Aus schimmernden Punkten schau ich das Bild einer ruhenden Sphinx kunstvoll gestickt. Eine Ankerkugel, liegt die Sonne im Meer. Das eintauchende Tuch, schwer von der Nässe, dehnt sich hinein in die Flut. Die Farben blassen, mählig verwaschen. Und bald strahlt vom Himmel zur Erde nur noch der tiefe, satte Ton blauschwarzer Seide. (Christian Morgenstern) Den Anhang 65372 betrachten Den Anhang 65373 betrachten
Müder Glanz der Sonne! Blasses Himmelblau! Von verklungner Wonne Träumet still die Au. An der letzten Rose Löset lebenssatt Sich das letzte lose, Bleiche Blumenblatt! Goldenes Entfärben Schleicht sich durch den Hain! Auch Vergehn'n und Sterben Däucht mir süß zu sein. Friedrich Karl von Gerok (1815-1890)
Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh die andre an: es ist in allen. Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält. Rainer Maria Rilke
Zu Golde ward die Welt; Zu lange traf Der Sonne süßer Strahl Das Blatt, den Zweig. Nun neig Dich, Welt hinab In Winterschlaf. Bald sinkt's von droben dir In flockigen Geweben Verschleiernd zu - Und bringt dir Ruh, O Welt, O dir, zu Gold geliebtes Leben, Ruh. Christian Morgenstern
Herbstlich sonnige Tage, mir beschieden zur Lust, euch mit leiserem Schlage grüßt die atmende Brust. O wie waltet die Stunde nun in seliger Ruh'! Jede schmerzende Wunde schließet leise sich zu. Nur zu rasten, zu lieben, still an sich selber zu baun, fühlt sich die Seele getrieben und mit Liebe zu schaun. Jedem leisen Verfärben lausch ich mit stillem Bemühn, jedem Wachsen und Sterben, jedem Welken und Blühn. Was da webet im Ringe, was da blüht auf der Flur, Sinnbild ewiger Dinge ist's dem Schauenden nur. Jede sprossende Pflanze, die mit Düften sich füllt, trägt im Kelche das ganze Weltgeheimnis verhüllt. Emanuel von Geibel (1815-1884) [HR][/HR]
Der Regen wandert über den Fluss Der Regen wandert über den Fluss, Und Wasser durchs Wasser waten muss. Es ist, als schwimmen die Ufer fort, So triefend stehen die Berge dort. Und Regen und Fluss durchs Land hingehn Und können ihr eigenes Ende nicht seh'n. So wanderten und Blut Sehnsucht oft zusammen Und alle Ufer überschwammen. ( Max Dauthendy ) Der Mond, der ohne Wärme lacht Drüben über dem Fluss in der Nacht Schwimmen die Berge im mondigen Nebel. Im Fluss, im Dunkeln, da funkeln sacht Die hellen Wellen in grellen Kreisen. Im Himmel steht, großes Feuer entfacht - Der Mond, der ohne Wärme lacht, Wie einer, den Liebe längst umgebracht. Nun lebt er noch als Geist bedacht. ( Max Dauthendy )
Markt und Straßen steh'n verlassen, still erleuchtet jedes Haus; sinnend geh ich durch die Gassen, alles sieht so festlich aus. An den Fenstern haben Frauen buntes Spielzeug fromm geschmückt, tausend Kindlein steh'n und schauen, sind so wunderstill beglückt. Und ich wandre aus den Mauern bis hinaus ins freie Feld. Hehres Glänzen, heilges Schauern, wie so weit und still die Welt! Sterne hoch die Kreise schlingen; aus des Schnees Einsamkeit steigt's wie wunderbares Singen. O du gnadenreiche Zeit! Josef von Eichendorff
An die Bäume im Winter Gute Bäume, die ihr die starr entblätterten Arme Reckt zum Himmel und fleht wieder den Frühling herab! Ach, ihr müßt noch harren, ihr armen Söhne der Erde, Manche stürmische Nacht, manchen erstarrenden Tag! Aber dann kommt wieder die Sonne mit dem grünenden Frühling Euch; nur kehret auch mir Frühling und Sonne zurück? Harr geduldig, Herz, und bringt in die Wurzel den Saft dir! Unvermutet vielleicht treibt ihn das Schicksal empor. Johann Gottfried von Herder (1744–1803)
Zum neuen Jahr Wie heimlicher Weise Ein Engelein leise Mit rosigen Füßen Die Erde betritt, So nahte der Morgen. Jauchzt ihm, ihr Frommen, Ein heilig Willkommen, Ein heilig Willkommen! Herz, jauchze du mit! In Ihm sei's begonnen, Der Monde und Sonnen An blauen Gezelten Des Himmels bewegt. Du, Vater, du rate! Lenke du und wende! Herr, dir in die Hände Sei Anfang und Ende, Sei alles gelegt! Eduard Mörike
Wanderung Wohlauf und frisch gewandert ins unbekannte Land! Zerrissen, ach zerrissen, ist manches teure Band. Ihr heimatlichen Kreuze, wo ich oft betend lag, Ihr Bäume, ach, ihr Hügel, oh blickt mir segnend nach. Noch schläft die weite Erde, kein Vogel weckt den Hain, Doch bin ich nicht verlassen, doch bin ich nicht allein, Denn, ach, auf meinem Herzen trag' ich ihr teures Band, Ich fühl's, und Erd und Himmel sind innig mir verwandt.
Der Winter hat sich angefangen, der Schnee bedeckt das ganze Land, der Sommer ist hinweggegangen, der Wald hat sich in Reif verwandt. Die Wiesen sind vom Frost versehret, die Felder glänzen wie Metall, die Blumen sind in Eis verkehret, die Flüsse stehn wie harter Stahl. Wohlan, wir wollen wieder von uns jagen durchs Feuer das kalte Winterleid! Kommt, laßt uns Holz zum Herde tragen und Kohlen dran, jetzt ist es dran. Rist, Johannes (1607-1667)
Sehnsucht nach dem Frühling O wie ist es kalt geworden und so traurig, öd' und leer! Rauhe Winde wehn von Norden, und die Sonne scheint nicht mehr. Auf die Berge möcht' ich fliegen, möchte sehn ein grünes Tal, möcht' in Gras und Blumen liegen und mich freun am Sonnenstrahl. Möchte hören die Schalmeien und der Herden Glockenklang, möchte freuen mich im Freien an der Vögel süßem Sang. Schöner Frühling, komm doch wieder, lieber Frühling, komm doch bald, bring uns Blumen, Laub und Lieder, schmücke wieder Feld und Wald! (Heinrich Hoffmann von Fallersleben)
[TABLE] [TR] [TD]Wolken Am nächtigen Himmel Ein Drängen und Dehnen, Wolkengewimmel In hastigem Sehnen, In lautloser Hast — Von welchem Zug Gebietend erfasst? — Gleitet ihr Flug, Es schwankt gigantisch Im Mondesglanz Auf meiner Seele Ihr Schattentanz, Wogende Bilder, Kaum noch begonnen, Wachsen sie wilder, Sind sie zerronnen, Ein loses Schweifen ... Ein Halb-Verstehn ... Ein Flüchtig-Ergreifen ... Ein Weiterwehn ... Ein lautloses Gleiten, Ledig der Schwere, Durch aller Weiten Blauende Leere. Hugo von Hofmannsthal (1892 [/TD] [/TR] [/TABLE]
Winter Ein weißes Feld, ein stilles Feld. Aus veilchenblauer Wolkenwand Hob hinten, fern am Horizont, Sich sacht des Mondes roter Rand. Und hob sich ganz heraus und stand Bald eine runde Scheibe da, In düstrer Glut. Und durch das Feld Klang einer Krähe heisres Krah. Gespenstisch durch die Winternacht Der große dunkle Vogel glitt, Und unten huschte durch den Schnee Sein schwarzer Schatten lautlos mit. Gustav Falke
Liebes Fleckchen 63, ein sehr schönes Gedicht... Ich wollte dir nur sagen, dass es aktuell einen Fotowettbewerb auf Rheuma-online gibt - Thema: Schwarz-weiß. Das linke deiner Bilder ist so toll - da solltest du mitmachen... Gib mal in die Suche ein Fotowettbewerb, dann müsstest du dort hinkommen. Liebe Grüße von anurju
Sooooo schön! Ich liebe diesen Thread!! Vielen Dank an alle für die vielen wunderschönen Gedichte. Großes Lob! LG Medi