Bitte alle mitmachen: Naturgedichte und -lieder

Dieses Thema im Forum "Kaffeeklatsch" wurde erstellt von Neli, 18. März 2007.

  1. Neli

    Neli Optimistin

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    Wärst du nicht, heil'ger Abendschein!
    Wärst du nicht, sternerhellte Nacht!
    Du Blütenschmuck! Du üpp'ger Hain!
    Und du, Gebirg', voll ernster Pracht!
    Du Vogelsang aus Himmeln hoch!
    Du Lied aus voller Menschenbrust!
    Wärst du nicht, ach, was füllte noch
    In arger Zeit ein Herz mit Lust?


    Justinus Kerner (1786-1862)
     

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  2. Neli

    Neli Optimistin

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    Der Bach hat leise Melodien,
    und fern ist Staub und Stadt.
    Die Wipfel winken her und hin
    und machen mich sо matt.

    Der Wald ist wild, die Welt ist weit,
    mein Herz ist hell und groß.
    Es hält die blasse Einsamkeit
    mein Haupt in ihrem Schoß.

    Rainer Maria Rilke
     

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  3. Gucki

    Gucki Guest

    der September

    Das ist ein Abschied mit Standarten
    aus Pflaumenblau und Apfelgrün.
    Goldlack und Astern flaggt der Garten,
    und tausend Königskerzen glühn.

    Das ist ein Abschied mit Posaunen,
    mit Erntedank und Bauernball.
    Kuhglockenläutend ziehn die braunen
    und bunten Herden in den Stall.

    Das ist ein Abschied mit Gerüchen
    aus einer fast vergessnen Welt.
    Mus und Gelee kocht in den Küchen.
    Kartoffelfeuer qualmt im Feld.

    Das ist ein Abschied mit Getümmel,
    mit Huhn am Spieß und Bier im Krug.
    Luftschaukeln möchten in den Himmel.
    Doch sind sie wohl nicht fromm genug.

    Die Stare gehen auf die Reise.
    Altweibersommer weht im Wind.
    Das ist ein Abschied laut und leise.
    Die Karussells drehn sich im Kreise.
    Und was vorüber schien, beginnt.

    Erich Kästner
     
  4. Neli

    Neli Optimistin

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    In des Sees Wogenspiele
    Fallen durch den Sonnenschein
    Sterne, ach, gar viele, viele,
    Flammend leuchtend stets hinein.

    Wenn der Mensch zum See geworden,
    In der Seele Wogenspiele
    Fallen aus des Himmels Pforten
    Sterne, ach, gar viele, viele.

    Franz Seraph Ritter von Bruchmann (1798-1867)
     

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  5. Neli

    Neli Optimistin

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    Er und sie

    Seh ich in das stille Tal,
    wo im Sonnenscheine
    Blumen prangen ohne Zahl,
    blick ich nur auf eine.

    Tret ich an mein Fensterlein,
    wenn die Sterne scheinen,
    mögen alle schöner sein,
    blick ich nur auf einen.

    Ach! es blickt ihr Auge blau
    jetzt auch auf die Auen,
    im Vergißmeinicht voll Tau
    kann ich es erschauen.

    Dort gen Abend blickt er mild
    wohl nach Himmelshöhen,
    denn dort ist sein liebes Bild
    in dem Stern zu sehen.



    Justinus Kerner (1786-1862)
     

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  6. Neli

    Neli Optimistin

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    Morgengebet

    O wunderbares tiefes Schweigen,
    wie einsam ist's noch auf der Welt!
    Die Wälder nur sich leise neigen,
    als ging' der Herr durch's stille Feld.

    Ich fühle mich wie neu geschaffen,
    wo ist die Sorge nun und Noth?
    Was gestern noch mich wollt' erschlaffen
    dess schäm' ich mich im Morgenroth.

    Die Welt mit ihrem Gram und Glücke
    will ich, ein Pilger, froh bereit
    betreten nur als eine Brücke
    zu dir, Herr, über'm Strom der Zeit.



    Joseph von Eichendorff
     

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  7. Gucki

    Gucki Guest

    Wer recht in Freuden wandern will,
    der geh´ der Sonn´ entgegen!
    Da ist der Wald so kirchenstill,
    kein Lüftchen mag sich regen.
    Noch sind nicht die Lerchen wach,
    nur im hohen Gras der Bach
    singt leise den Morgensegen.


    Die ganze Welt ist wie ein Buch,
    darin uns aufgeschrieben
    in bunten Zeilen manch ein Spruch,
    wie Gott uns treugeblieben.
    Wald und Blumen nah und fern
    und der helle Morgenstern
    sind Zeugen von seinem Lieben.


    Da zieht die Andacht wie ein Hauch
    durch alle Sinnen leise,
    da pocht ans Herz die Liebe auch
    in ihrer stillen Weise;
    pocht und pocht bis sich´s ergießt
    und die Lippe überfließt
    von lautem, jubelndem Preise.


    Und plötzlich laßt die Nachtigall
    im Busch ihr Lied erklingen,
    in Berg und Tal erwacht der Schall
    und will sich aufwärts schwingen;
    und der Morgenröte Schein
    stimmt in lichter Glut mit ein:
    Laßt uns dem Herrn lobsingen.


    Worte: Emanuel Geigel 1839, Weise: mündlich überliefert
     
  8. Neli

    Neli Optimistin

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    An vollen Büschelzweigen,
    Geliebte, sieh nur hin!
    Laß dir die Früchte zeigen,
    Umschalet stachlig grün.

    Sie hängen längst geballet,
    Still, unbekannt mit sich;
    Ein Ast, der schaukelnd wallet,
    Wiegt sie geduldiglich.

    Doch immer reift von innen
    Und schwillt der braune Kern,
    Er möchte Luft gewinnen
    Und säh' die Sonne gern.

    Die Schale platzt, und nieder
    Macht er sich freudig los;
    So fallen meine Lieder
    Gehäuft in deinen Schoß.


    Johann Wolfgang von Goethe
     

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  9. Neli

    Neli Optimistin

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    Herbst

    Astern blühen schon im Garten,
    schwächer trifft der Sonnenpfeil;
    Blumen, die den Tod erwarten
    durch des Frostes Henkerbeil.

    Brauner dunkelt längst die Haide,
    Blätter zittern durch die Luft,
    und es liegen Wald und Weide
    unbewegt in blauem Duft.

    Pfirsich an der Gartenmauer,
    Kranich auf der Winterflucht.
    Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
    welke Rosen reife Frucht.


    Detlev von Liliencron (1844-1909)
     

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  10. Neli

    Neli Optimistin

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    Herbst

    Zu Golde ward die Welt;
    Zu lange traf
    Der Sonne süßer Strahl
    Das Blatt, den Zweig.
    Nun neig
    Dich, Welt hinab
    In Winterschlaf.

    Bald sinkt's von droben dir
    In flockigen Geweben
    Verschleiernd zu -
    Und bringt dir Ruh,
    O Welt,
    O dir, zu Gold geliebtes Leben,
    Ruh.


    Gottfried Keller
     

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  11. Gucki

    Gucki Guest

    grünes Blatt

    Verlassen trauert nun der Garten,
    Der uns so oft vereinigt hat;
    Da weht der Wind zu euern Füßen
    Vielleicht sein letztes grünes Blatt.

    Theodor Storm
     
  12. Susanne L.

    Susanne L. Mitglied

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    Erinnerung

    Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
    ich nahm es so beim Wandern mit.
    Auf dass es einst mir möge sagen:
    Wie laut die Nachtigall geschlagen,
    wie grün der Wald,
    den ich durchschritt.

    (Verfasser ist mir leider unbekannt - nur die Zeilen blieben mir über Jahre im Gedächtnis)

    lg
    Susanne
     
  13. Neli

    Neli Optimistin

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    Hallo Susanne,

    das Gedicht heißt

    "Ein grünes Blatt"

    und ist von Theodor Storm.

    Es gefällt mir auch sehr gut.


    Viele liebe Grüße
    Neli
     
    #133 1. Oktober 2007
    Zuletzt bearbeitet: 1. Oktober 2007
  14. Neli

    Neli Optimistin

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    Im Nebel ruhet noch die Welt,
    Noch träumen Wald und Wiesen,
    Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
    Den blauen Himmel unverstellt,
    Herbstkräftig die gedämpfte Welt
    In warmen Golde fließen.

    Eduard Mörike
     

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  15. Gucki

    Gucki Guest

    Wandersprüche

    Es geht wohl anders, als du meinst:
    Derweil du rot und fröhlich scheinst,
    Ist Lenz und Sonnenschein verflogen,
    Die liebe Gegend schwarz umzogen;
    Und kaum hast du dich ausgeweint,
    Lacht alles wieder, die Sonne scheint -
    Es geht wohl anders, als man meint.



    Herz, in deinen sonnenhellen
    Tagen halt nicht karg zurück!
    Allwärts fröhliche Gesellen
    Trifft der Frohe und sein Glück.

    Sinkt der Stern: alleine wandern
    Magst du bis ans End der Welt -
    Bau du nur auf keinen andern
    Als auf Gott, der Treue hält.



    Was willst auf dieser Station
    So breit dich niederlassen?
    Wie bald nicht bläst der Postillion,
    Du mußt doch alles lassen.



    Die Lerche grüßt den ersten Strahl,
    Daß er die Brust ihr zünde,
    Wenn träge Nacht noch überall
    Durchschleicht die tiefen Gründe.

    Und du willst, Menschenkind, der Zeit
    Verzagend unterliegen?
    Was ist dein kleines Erdenleid?
    Du mußt es überfliegen!



    Der Sturm geht lärmend um das Haus,
    Ich bin kein Narr und geh hinaus,
    Aber bin ich eben draußen,
    Will ich mich wacker mit ihm zausen.



    Ewig muntres Spiel der Wogen!
    Viele hast du schon belogen,
    Mancher kehrt nicht mehr zurück.
    Und doch weckt das Wellenschlagen
    Immer wieder frisches Wagen,
    Falsch und lustig wie das Glück.



    Der Wandrer, von der Heimat weit,
    Wenn rings die Gründe schweigen,
    Der Schiffer in Meereseinsamkeit,
    Wenn die Stern aus den Fluten steigen:

    Die beiden schauern und lesen
    In stiller Nacht,
    Was sie nicht gedacht,
    Da es noch fröhlicher Tag gewesen.


    Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff


     
  16. Susanne L.

    Susanne L. Mitglied

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    Dacht ich mir's doch

    ... dass irgend einer das Gedicht kennt. Danke, Neli. Selten habe ich Gedichte freiwillig gelernt - dieses aber ist mir sogar ohne mein Zutun im Gedächtnis geblieben.

    lg
    Susanne



     
  17. Neli

    Neli Optimistin

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    Das Apfeljahr

    Der Apfel war nicht gleich am Baum,
    da war erst lauter Blüte.
    Das war erst lauter Blütenschaum
    und lauter Lieb und Güte.


    Dann waren Blätter grün an grün
    und grün an grün nur Blätter.

    Die Amsel nach des Tages Mühn,
    sie sang ihr Abendlied gar kühn
    und auch bei Regenwetter.


    Der Herbst, der macht die Blätter steif
    der Sommer muß sich packen.

    Hei! Daß ich auf die Finger pfeif
    da sind die ersten Äpfel reif
    und haben rote Backen.


    Und was bei Sonn` und Himmel war
    erquickt nun Mund und Magen
    und macht die Augen hell und klar.
    So rundet sich das Apfeljahr
    und mehr ist nicht zu sagen.


    Matthias Claudius
     

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  18. Gucki

    Gucki Guest

    Morgenlied

    Kein Stimmlein noch schallt von allen
    In frühester Morgenstund,
    Wie still ist's noch in den Hallen
    Durch den weiten Waldesgrund.

    Ich stehe hoch überm Tale
    Stille vor großer Lust,
    Und schau nach dem ersten Strahle,
    Kühl schauernd in tiefster Brust.

    Wie sieht da zu dieser Stunde
    So anders das Land herauf,
    Nichts hör ich da in der Runde
    Als von fern der Ströme Lauf.

    Und ehe sich alle erhoben
    Des Tages Freuden und Weh,
    Will ich, Herr Gott, dich loben
    Hier einsam in stiller Höh. -

    Nun rauschen schon stärker die Wälder,
    Morgenlicht funkelt herauf,
    Die Lerche singt über den Feldern,
    Schöne Erde, nun wache auf!

    Joseph von Eichendorff
     
  19. Neli

    Neli Optimistin

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    Herbstbild

    Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
    Die Luft ist still, als atmete man kaum,
    und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
    die schönsten Früchte ab von jedem Baum.


    O stört sie nicht, die Feier der Natur!
    Dies ist die Lese, die sie selber hält;
    denn heute löst sich von den Zweigen nur,
    was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

    Friedrich Hebbel
     

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  20. Gucki

    Gucki Guest

    Im Herbst
    Was rauscht zu meinen Füßen so?
    Es ist das falbe Laub vom Baum!
    Wie stand er jüngst so blütenfroh
    Am Waldessaum!

    Was ruft zu meinen Häuptern so?
    Der Vogel ist's im Wanderflug,
    Der noch vor kurzem sangesfroh
    Zu Neste trug.

    Mein ahnend Herz, was pochst du so?
    Du fühlst den Pulsschlag der Natur,
    Und dass verwehen wird also
    Auch deine Spur!

    Heinrich Seidel
     
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