Der Zahnarzt Nicht immer sind bequeme Stühle eine Ruheplatz für die Gefühle. Wir säßen lieber in den Nesseln als auf den wohlbekannten Sesseln, vor denen, sauber und vernickelt, der Zahnarzt seine Kunst entwickel., Er lächelt ganz empörend herzlos und sagt, es sei fast beinah schmerzlos. Doch leider, unterhalb der Plombe, stößt er auf eine Katakombe, die, wie er mit dem Häkchen spürt, in unbekannte Tiefen führt. Behaglich schnurrend mit dem Rädchen dringt vor er bis zum Nervenfädchen. Jetzt zeige, Mensch, den Seelenadel: Der Zahnarzt prüft die feine Nadel, mit der er alsbald Dir beweist, daß Du voll Schmerz im Innern seist. Du aber hast ihm zu beweisen, daß Du im Äußern fest wie Eisen. Nachdem ihr dieses euch bewiesen, geht er daran, den Zahn zu schließen. Hat er sein Werk mit Gold gekrönt, sind mit der Welt wir neu versöhnt, und zeigen, noch im Aug' die Träne, ihr furchtlos wiederum die Zähne, die wir - ein Prahlhans, wer´s verschweigt - dem Zahnarzt zitternd nur gezeigt. Eugen Roth Zahnweh Das Zahnweh, subjektiv genommen, ist ohne Zweifel unwillkommen. Doch hat's die gute Eigenschaft, dass sich dabei die Lebenskraft, die man nach außen oft verschwendet, auf einen Punkt nach innen wendet und hier energisch konzentriert. Kaum wird der erste Stich verspürt, kaum fühlt man das bekannte Bohren, das Rucken, Zucken und Rumoren, und aus ist's mit der Weltgeschichte. Vergessen sind die Kursberichte, die Steuern und das Einmaleins. Kurz, jede Form gewohnten Seins, die sonst real erscheint und wichtig, wird plötzlich wesenlos und nichtig. Ja, selbst die alte Liebe rostet. Man weiß nicht, was die Butter kostet. Denn einzig in der engen Höhle des Backenzahnes weilt die Seele, und unter Toben und Gebraus reift der Entschluss: Der Zahn muss raus. Erich Kästner Liebe Grüsse von Nixe, die trotzdem keine Angst vorm Zahnarzt hat